Liebe Pfarrangehörige,
Anfang Juli konnten Professor Hans Brantl und Hans Trum aus Rinchnach ihr 30-jähriges Priesterjubiläum feiern. Einen Tag später feierte mein Weihekurs in einem Gottesdienst in Rinchnach ihr 29-jähriges Jubiläum. Bei unserem Kurs waren es sieben junge Männer, die Bischof Eder damals weihte, ein Jahr zuvor waren es sechs.
Am 29. Juni dieses Jahres, konnte Bischof Oster einen Kandidaten zum Priester weihen. Aktuell sind im Seminar der Diözese Passau drei Studenten. Die sich auf sechs Jahrgänge verteilen. Macht also rechnerisch 0,5 Priesterweihen pro Jahr, statt 6 oder 7 vor 30 Jahren. Und bevor jetzt die üblichen Reflexantworten kommen (“Lasst sie halt heiraten!”): In der evangelischen Kirche, so wurde mir auf Nachfrage bestätigt, sieht es kaum besser aus. Und bei unseren katholischen Gemeinde- und Pastoralreferenten, wo es auch keinen Zölibat gibt, wo auch Männer und
Frauen beauftragt werden, sieht es eher noch schlechter aus: Von 26 freien Stellen konnten dieses Jahr ganze drei besetzt werden.
Wenn in rund einem Dutzend Jahren die Weihekurse von Hans Brantl und Trum und meiner so langsam in den Ruhestand gehen, wird die Diözese Passau mindestens 40 Geistliche weniger im Dienst haben. Bei jetzt ca. 120. Und das ist sehr, sehr vorsichtig gerechnet: Da ist jetzt noch niemand “vorzeitig” gestorben, wegen Krankheit ausgefallen oder hat aus anderen Gründen aufgehört.
Schon jetzt ist es nicht mehr möglich, den immer größer werdenden Mangel an Priester und Gemeindereferenten durch ausländische Geistliche auszugleichen. Zumal ich immer wieder direkt und indirekt erfahren muss, dass diese vielen auch nicht gut genug sind. Um es mit den Worten des Generalvikars zu beschreiben: “Bis 2030 können wir die Priesterzahlen noch einigermaßen konstant halten. Dann geht’s dahin.”
Das sind die nackten Zahlen, die nicht erst seit zwei Jahren, sondern seit mindestens 30 Jahren einen drastischen Wandel in unserer Kirche beschreiben.
Für den Pfarrverband Rinchnach-Kirchdorf sieht das ungefähr so aus:
Ordensschwestern:
80er-Jahreund danach: 4 — 5
heute: Ø
Gemeindereferenten:
80er-Jahreund danach: 1
heute: Ø
Priester:
80er-Jahreund danach: 3
heute: 1
gesamt:
80er-Jahreund danach: ca. 8
heute: 1
In den meisten anderen Diözesen in Deutschland, auch in Bayern, sieht es schon lange viel schlechter aus. In der Diözese München-Freising werden zum Beispiel viele Pfarreien mindestens ein Jahr lang nicht mehr besetzt, wenn ein Pfarrer in Ruhestand geht oder wechselt. In anderen Diözesen ist ein durchschnittlicher Pfarrverband so groß, wie bei uns das ganze Dekanat Regen.
Man kann nun auf verschiedene Weisen darauf reagieren. Man kann wie ein kleines Kind die Augen zuhalten, mit dem Fuß aufstampfen und “nein, nein, nein!” rufen. Man kann das alles auch einfach ignorieren und so tun, als wäre nichts anders geworden, so weitermachen, wie bisher und sich wundern, wenn stellenweise schon jetzt immer mehr zusammenbricht. Man kann es durch noch mehr Einsatz und Gschafteln kompensieren und sich wundern und klagen, wenn man noch viel schneller zusammenbricht, von Burnout und anderen Problemen auf die Knie gezwungen wird und niemand mehr mitmachen will. Man kann auch auf “die Kirche”, den lieben Gott und wer weiß, wen noch schimpfen, dass alles so schlimm ist.
Man kann aber auch diese Tatsachen zur Kenntnis nehmen und tragfähige Lösungen ergreifen. In der Form, dass das Leben einer Pfarrei eben nicht mehr ausschließlich davon abhängt, ob es hauptamtliche Seelsorger vor Ort gibt, die alles machen, sondern dass diejenigen, denen ihr christlicher Glaube etwas bedeutet, sich selber einbringen.
Vor 30 Jahren hat die Diözese Passau unter Bischof Eder und vielen anderen, engagierte Christen aufgerufen, in ihren Gemeinden selber Gottesdienste, “Wort-“Gottesdienste zu feiern. Diese Wortgottesdienstleiter wurden ausgebildet, vom Bischof beauftragt. Nicht alle — auch nicht alle Pfarrer — haben damals begriffen, wie notwendig das ist. Nicht als “Notnagel” notwendig, sondern weil jeder Getaufte an diesem allgemeinen Priesteramt Anteil hat und damit das Recht und auch die Aufgabe hat, gemeinsam Gott zu feiern. Auch aus unserem Pfarrverband haben sich damals Christen aufgemacht, diese Kurse zu absolvieren und, solange sie durften, in Ihrer Gemeinde Wortgottesdienste aller Art zu leiten.
So manche andere Möglichkeiten gibt es noch, dafür zu sorgen, dass das christliche Leben einer Pfarrei nicht vertrocknet: Da sind die Dienste im Gottesdienst — Lektor, Kommunionhelfer, Organist; Leute, die Familiengottesdienste gestalten und feiern, die Firmlingen und Kommunionkindern in deren Vorbereitungszeit den Glauben näher bringen. Da sind die Vorbeter beim Rosenkranz — auch beim Sterberosenkranz. Personen, die als Mesner, als Pfarrgemeinderäte, als Kirchenverwaltungsmitglieder das Ihre tun. Natürlich auch die Ministranten; Kommunionhelfer, die immer wieder mal Leuten aus unseren Pfarreien die Heilige Kommunion nach Hause bringen, weil sie nicht mehr in die Kirche können. Das können übrigens auch Familienmitglieder übernehmen. Und noch vieles mehr.
Dazu aber muss sich — und allzu viel Zeit bleibt nicht mehr — auch in den Köpfen, in den Erwartungen vieler etwas ändern.
Es ist ja nicht so, dass nur die Priester und Gemeindereferenten weniger werden. Die Zahl derjenigen, denen zum Beispiel eine Eucharistiefeier (wenn sie denn nicht nur Rahmen für etwas anderes sein soll) etwas bedeutet, ist ja in den letzten Jahren auch in unseren Kirchen ganz gewaltig weniger geworden — unsere Kirchen sind sehr leer geworden. Auch das ist eine unangenehme Tatsache, vor der man die Augen nicht verschließen darf, sie nicht schönreden darf. Mit anderen Worten: “Wir” sind seit langem sehr viel weniger geworden. So manches also, was bisher alles so erwartet wurde, was (schönes) Brauchtum, (gute) Gewohnheit geworden ist, geht in diesem Maße schlichtweg nicht mehr. Wenn zum Beispiel früher 30 Leute aller Altersschichten sich um etwas gekümmert haben und heute dafür nur noch fünf meist ältere Personen da sind — dann muss eigentlich jedem klar sein, dass da vieles nicht mehr so geht, wie früher.
Und ein Gottesdienst, der nicht von einem Priester geleitet wird, sondern von einem Wortgottesdienstleiter, der hat eben auch
seinen “Wert”. Es wird in wenigen Jahren nicht mehr viele andere Gottesdienste geben.
In unserem Bistum trägt man dieser Entwicklung nun wieder verstärkt Rechnung. Derzeit werden die Dekanate umorganisiert. Das Schlüsselwort heißt “Pastoraler Raum”. Also “Seelsorgsraum”. Einfach gesagt: Da immer weniger hauptamtliche Seelsorger zur Verfügung stehen (werden), muss deren Tätigkeit auf größere Räume verteilt werden, damit eine Grundversorgung möglich bleibt. Konkret heißt das für unser Dekanat Regen (und alle anderen): Es wird sichergestellt, dass jede Pfarrei einen
Sonntagsgottesdienst pro Woche erhält.
Ein Priester wird also in einigen Jahren dann nicht mehr der Pfarrer nur einer Pfarrei bzw. eines Pfarrverbandes sein, sondern allgemein dem ganzen Dekanat bzw. Seelsorgsraum zugeordnet. Mit dem Dekan bzw. Prodekan als seinem Vorgesetzten. Dass dann nicht mehr in jedem Weiler im Dekanat zum Wunschtermin eine Wunscheucharistiefeier wie früher gefeiert werden kann, erklärt sich auch von selbst. Und die Frage, ob bei einer Beerdigung, an der die Gemeinde nicht teilnehmen darf, ein Gemeindepriester vonnöten ist, wird irgendwann auch lauter gestellt werden müssen.
Umso wichtiger wird es in Rinchnach und in Kirchdorf, dass in den Pfarreien, in den Dörfern Christen da sind, die jetzt schon Möglichkeiten schenken, dass Gemeinde sich zum Gebet, zum Gottesdienst versammelt. Dafür, dass man das auch kann, dass man sich sicher fühlen kann, wenn man vor und mit anderen Leuten betet, feiert, lehrt, sorgt — dafür bietet das Bistum mittlerweile eine sehr umfangreiche Sammlung an Aus- und Weiterbildungskursen kostenlos an.
Mit einem Vergleich des Generalvikars möchte ich diese Zeilen beschließen:
“Es ist, wie wenn man mit hohem Tempo auf der Autobahn fährt und weit vor einem steht eine Mauer auf der Fahrbahn. Dann kann man das ignorieren und in kürze ungebremst in die Mauer krachen.
Man kann auch erst ganz kurz vorher in die Eisen steigen, dass einen der Gurt würgt und man vielleicht(!) doch noch vorher zum Stehen kommt.
Man kann aber auch schon lange vorher das Gas wegnehmen und sanft ausrollend vor dem Hindernis zum Stehen kommen.”
Jetzt haben wir in Rinchnach und Kirchdorf noch Zeit für den sanften Wandel.
Ihr Konrad Kuhn, Prodekan